Warum wir mutige Politik brauchen
Die Digitalisierung
Früher erlebte man in seinem Leben eine Welt. Heute sind es drei, vier vielleicht sogar fünf Welten in einem Leben – so schnell, wie in den letzten beiden Jahrzehnten der technologische Wandel vorangeschritten ist. Wir befinden uns bereits mitten in der nächsten großen gesellschaftlichen Veränderung: der Digitalisierung.
Google, PayPal, Amazon oder Facebook sind erst der Anfang. Künstliche Intelligenz und selbstlernende Computer werden unser Leben – gesellschaftlich und wirtschaftlich – nachhaltig verändern. Computersysteme verstehen die menschliche Sprache, lernen durch Interaktion, analysieren die Daten und liefern Antworten auf interdisziplinäre Fragen. Wer glaubt das sei noch Zukunftsmusik: die künstliche Intelligenz ist im echten Leben längst angekommen. Heute lösen Algorithmen Computerprobleme, suchen und finden selbstständig Tumore und sind aus dem Investmentbanking nicht mehr wegzudenken. Sie lernen kontinuierlich und vor allem mit unvorstellbarer Geschwindigkeit dazu.
Dabei kommt es – aus meiner Sicht – in Zukunft vor allem darauf an, diese Entwicklung nicht unreflektiert als Heilsbringer:in zu sehen, sondern sehr genau auch die sozialen Belange im Blick zu behalten und die Gesellschaft als Ganzes auf diese Reise mitzunehmen.
Steigende Altersarmut
Die Niedrigzinsphase wird nicht kurzfristig enden, was einer Kapitalbildung und damit auch der privaten Altersvorsorge massiv gegenübersteht. Gleichzeitig wird der Niedriglohnsektor weiter ansteigen und sich das gesellschaftliche Ungleichgewicht weiter verschärfen. Dank der irrsinnigen Notenbankpolitik der EZB werden die Immobilienpreise in städtischen Ballungszentren 2018 weiter in die Höhe gehen und somit die Kosten für das Wohnen verteuern. Der DAX wird weiter steigen und die Verteilung von Vermögen ebenfalls verschieben, wobei zugleich die öffentlichen Abgaben für die Bürger:innen sowie Konto- und sonstige Bankgebühren weiter ansteigen. All dies hat zur Folge, dass immer mehr Menschen von Altersarmut bedroht sein werden. Das Rentenniveau wird in Zukunft in Deutschland weiter sinken und für das Alter adäquat vorzusorgen wird aufgrund der problematischen Lage der Versicherer:innen immer schwieriger.
Auch die Krankenkassengebühren werden ansteigen und in spätestens 15 Jahren wird unser Gesundheitssystem auf Grund explodierender Kosten und des immer kleiner werdenden Mittelstandes kollabieren, wenn wir nicht endlich beginnen unsere sozialen Systeme von Grund auf zu reformieren. Ein erster Schritt wäre, die Probleme transparent zu benennen.
All dies hat die gestrige Sendung Frontal 21 im ZDF eindrucksvoll illustriert. Mit den Themen „Die Lebensversicherer wickeln Verträge ab“ und „Profitgier der Pflegekonzerne“ hat das Format gleich zwei der dringlichsten Probleme angesprochen. Wie auch schon in den Wochen nach der Veröffentlichung meines Buches „Alt, arm und abgezockt“, beschwichtigt die Versicherungsbranche. Es fehlt – nach wie vor – der Impuls unsere Sozialsysteme insgesamt auf den Prüfstand zu stellen und eine offene, kontroverse Diskussion, wie wir diese für die Zukunft fit machen können.
Wir alle müssen neu denken!
Das Ziehen und Zerren um die Regierungsbildung – und nicht zuletzt das Ergebnis – zeigen, dass unsere Volksvertreter:innen in erster Linie der Erhaltung des Status-Quo dienen, ihren jeweiligen Ideologien verhaftet sind, sie in Schubladen denken und jegliche gesellschaftliche Zukunftsvision und den dazu notwendigen Mut vermissen lassen. Wir brauchen eine Politik, die über Parteigrenzen hinweg im Sinne der Menschen und des Landes agiert und den Puls der Zeit erkennt. Noch ist Zeit, das Ruder herumzureißen. Noch boomt der Exportsektor und folglich geht es dem Deutschen Staat verhältnismäßig gut, weil wir einerseits von dem billigen Euro und andererseits von einem gigantischen Niedriglohnsektor profitieren. Steuerüberschüsse sollten sinnvoll und nachhaltig investiert werden. Der Ausbau des schnellen Internets ist dabei lediglich Voraussetzung auf dem Weg zu einer digitalen Gesellschaft, denn die Themen Bildung, Forschung und ein kulturelles Umfeld, welches Eigeninitiative fördert sind zwingend, damit wir nicht endgültig den Anschluss an das Silicon Valley und das 21. Jahrhundert verlieren. Gleichzeitig braucht es die gesellschaftliche Auseinandersetzung auf allen Ebenen, um die Chancen der Digitalisierung für alle nutzbar zu machen, Ängste abzubauen und für künftige Generationen ein Deutschland und Europa visionär und mutig zu gestalten, in dem jeder wieder seine Träume verwirklichen kann – unabhängig von Herkunft und finanziellen Möglichkeiten.